Matteo Salvini will italienischer Premierminister werden – im Wahlkampf kokettiert der Rechtspopulist mit dem Euro-Austritt. An den Finanzmärkten sorgt er damit für Entsetzen.
Es ist wieder so weit: Die nächste Italien-Krise rollt an. An der Mailänder Börse sind die Aktienkurse in den vergangenen Tagen kräftig gefallen, vor allem jene von italienischen Banken und von Unternehmen, die weitgehend auf den Inlandsmarkt ausgerichtet sind. Post, Telekom, Gas. Die Anleger sind hochnervös.
Der berühmte “Spread” steigt wieder. Das heißt: Italiens Finanzminister Giovanni Tria muss derzeit für eine Schuldverschreibung mit zehnjähriger Laufzeit dem Käufer 1,7 Prozent Zinsen bieten. Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz bekommt dagegen von jedem, der seine Staatsanleihen haben will, noch 0,6 Prozent Zinsen dazu. Geradezu verlockend für einen Finanzminister, aber Scholz will eigentlich gar keine neuen Schulden machen.
Der parteilose Kollege in Rom dagegen soll viele, sehr viele neue Kredite aufnehmen. So will es seine gerade auseinanderfliegende Regierung, vor allem der kleinere, aber weit durchsetzungsstärkere Partner, die rechte Lega von Matteo Salvini. Dabei gehört Italien längst zu den Ländern mit der weltweit höchsten Schuldenquote. Um fast 40 Prozent sind die Staatsschulden in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, auf etwa 2,32 Billionen Euro im vorigen Jahr. Das entspricht 132 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft des Landes. Nur Griechenland ist in Europa noch schlimmer dran.
Und während die Griechen zumindest so etwas wie einen Plan haben, aus der Misere rauszukommen, sieht es in Italien auch für die Zukunft eher finster aus.
Roms Staatshaushalt: hübsch frisiert
Denn die wohlklingenden Wirtschaftszahlen, die die römische Regierung im Frühsommer der EU-Kommission in Brüssel vorgelegt hat, um einem Strafverfahren zu entgehen, entpuppten sich recht schnell als ziemlich frei gegriffen. Schnell näherten sie sich wieder der bitteren Realität an: Italien wird im laufenden Jahr wenig oder gar kein Wachstum haben, dafür deutlich höhere Ausgaben. Die Lücke kann die Regierung nur mit neuen Schulden füllen.
Der nächste Etat, fürs Jahr 2020, wird ein ähnliches Schicksal erleiden wie der fürs laufende Jahr: Die Ausgaben sind – huch, wie konnte das passieren? – weit höher als veranschlagt, die Einnahmen weit niedriger. Dazwischen wachsen die neuen Schulden kräftig über das angepeilte und mit der EU vereinbarte Limit.
Die Gründe dafür sind offensichtlich:
- So hat die Regierung in Rom versprochen, den von der Vorgänger-Regierung beschlossenen Anstieg der Mehrwertsteuer von 22 auf 25,2 Prozent zu verhindern; Einnahmeausfall: 23 Milliarden Euro.
- Zudem will Salvini unbedingt die Flat-Tax-Niedrigsteuer umsetzen, die er im Wahlkampf versprochen hat: 15 Prozent Steuern für alle Einkommen unter 50.000 Euro. Das kostet 10 bis 15 Milliarden Euro.
- Im Haushaltsentwurf werden bei den Einnahmen wieder viele Milliarden Euro aus der Privatisierung von Staatsvermögen stehen: reine Luftbuchungen. Für das laufende Jahr hatte Finanzminister Tria dort 18 Milliarden Euro eingesetzt; jetzt gibt er zu, dass allenfalls 950 Millionen zusammenkommen.
Salvini im Jahr 2014
Italexit – nicht mehr ausgeschlossen
Die Folge dieser römischen Politik ist, dass Italien wie im Vorjahr auch in diesem Herbst wieder ein EU-Strafverfahren wegen seiner weiter ausufernden Schulden droht. Wie das ausgeht und welche Folgen es hat, hängt davon ab, wer dann in welcher Koalition in Rom regiert.
Schafft es Matteo Salvini, allein oder mithilfe von Silvio Berlusconis “Forza Italia” und der rechtsextremen “Brüder Italiens”-Partei Regierungschef zu werden, ist ein heftiger Konflikt vorprogrammiert. Denn das angeblich böse Europa, das im Auftrag von Deutschland und Frankreich das arme Italien kleinhalten will, soll wohl im Zentrum des nächsten Lega-Wahlkampfs stehen, berichten italienische Medien.
Salvinis zentrales Thema im Wahlkampf des Vorjahres – “die Einwanderung stoppen” – zieht nicht mehr so richtig. Zum einen schrumpfen die Migrantenzahlen, zum anderen hat er seine wortgewaltigen Erklärungen – “alle Häfen sind dicht” – das eine oder andere Mal still und leise zurücknehmen müssen.
Die Dogmen und Vorschriften aus Brüssel, sagt Salvini jetzt, seien “nicht heilig”. Er werde – als nächster Regierungschef – verlangen, dass alle EU-Regeln und -Gesetze neu verhandelt werden. So steht es ja auch schon in seinem Wahlprogramm aus dem Jahr 2018. Das hat damals nur keiner wirklich ernst genommen. Jetzt muss man es wohl ernst nehmen, wenn er sagt, er werde Europa auf einen Stand vor dem Maastricht-Vertrag zurückbringen und seinem Land die “volle Souveränität” zurückerobern. Und dazu droht, dass andernfalls das von ihm regierte Italien aus der Eurozone aussteigen werde.
Im Video: Salvinis Badestrand-PolitikVideoREUTERS
Schon ist in Salvinis Lega und in den Medien die Rede vom “abgestimmten Italexit” – der gemeinsame Euro-Abgang von Italien und einigen anderen, womöglich osteuropäischen Staaten. Und in Lega-Kreisen wird plötzlich wieder ein Buch aus dem Jahr 2016 herumgereicht und zitiert, das der Ökonom und Lega-Senator Alberto Bagnai geschrieben hat: “Der Untergang des Euro. Wie und warum das Ende der Währungsunion die Demokratie und den Wohlstand in Europa retten würde”.
Für die meisten anderen Ökonomen klingt das zwar ziemlich unsinnig. Aber der Unsinn hat sich in der Politik zuletzt ja häufiger durchgesetzt.
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